Lehrenbau erklärt: Prüfvorrichtungen für die Qualitätssicherung

Lehren spielen im Maschinenbau und der modernen Fertigung bei der Einhaltung höchster Qualitätsanforderungen und Standards eine zentrale Rolle. Prüflehren garantieren schnelle und genaue Prüfprozesse, ohne dabei auf komplizierte Messtechnik zurückgreifen zu müssen. Prüfvorrichtungen für Materialprüfmaschinen sind leicht an individuelle Bauteile anpassbar. Doch welche Arten von Lehren und Prüfvorrichtungen gibt es? Wie sind diese aufgebaut und welche Komponenten und Materialien eignen sich bei der Erstellung einer solchen Prüfvorrichtung? Erfahren Sie alles dazu in diesem Artikel.

Was ist eine Prüflehre?

Eine Prüflehre im Sinne der Prüftechnik ist eine Vorrichtung bzw. ein Prüfmittel zum Überprüfen von Bauteilen. Mit der Lehre kann festgestellt werden, ob ein Werkstück die geforderten Toleranzen einhält. Die Lehre definiert den Soll-Zustand, den ein Werkstück haben muss, um den Anforderungen zu genügen. Der Ist-Zustand des Werkstücks wird mit diesem Soll-Zustand verglichen. Der Unterschied zwischen Messen und Lehren besteht darin, dass beim Messen ein physikalischer Wert mithilfe eines Messgeräts ermittelt wird, während beim Lehren geprüft wird, ob ein Merkmal innerhalb der vorgegebenen Toleranz liegt – ohne dabei den exakten Messwert zu bestimmen. In unserem Artikel Passungsarten und Toleranzen - Ein Überblick erhalten Sie weiterführende Informationen zum Thema Passungen.

Eine Prüfvorrichtung ist eine spezialisierte, häufig individuell konstruierte Vorrichtung, die das Werkstück fixiert, ausrichtet und bei Bedarf automatisiert oder halbautomatisiert bestimmte Prüfprozesse ausführt. Sie wird insbesondere dann eingesetzt, wenn komplexe Geometrien, mehrere Prüfpunkte oder hohe Prüfstückzahlen vorliegen. Im Unterschied zur klassischen Lehre kann die Prüfvorrichtung auch mit Sensorik, Kameratechnik oder pneumatischen Elementen kombiniert werden, um Prüfprozesse zu beschleunigen und eine präzisere Auswertung zu ermöglichen. Bei der Konstruktion einer Prüfvorrichtung sind folgende Fragen zu klären:

  • Was soll geprüft werden?
  • Wie formgetreu soll die Prüfvorrichtung aufgelegt werden? Formtreue ist z.B. bei Blechen wichtig, die sich leicht verbiegen.
  • An wie vielen Punkten soll geprüft und aufgelegt werden? B-Säulen von Kraftfahrzeugen haben z.B. viele Freiformen.

Die eigentliche Prüfvorrichtung besteht aus einem Zusammenspiel mehrerer aufeinander abgestimmter Komponenten wie z.B. Grenzlehrdorne, Formauflagepunkte, Grundkonstruktion, Positionierstifte und Spanntechnik. Im hier gezeigten Beispiel sind alle bei MISUMI erhältlichen Komponenten einer Messvorrichtung für Body-in-White Teile in Gelb eingefärbt.

Beispiel für eine Prüfvorrichtung an einem Body-in-White (MISUMI-Teile in Gelb)
Beispiel einer Prüfvorrichtung für ein Body-in-White Teil (MISUMI-Teile in Gelb)

Bei der Verwendung von Lehren und Prüfvorrichtungen werden Fehlerquellen, die durch einfache Messungen entstehen, reduziert. Es lässt sich eindeutig und reproduzierbar bestimmen, ob das geprüfte Werkstück die vorher definierten Anforderungen erfüllt oder nicht. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass die Qualitätskontrolle systematisch und unkompliziert durchgeführt werden kann.

Welche Funktion kann eine Prüflehre und Prüfvorrichtung noch erfüllen?

  • Fehlerhafte Teile aussortieren: Vor allem in der Serienfertigung können Fehlermerkmale schnell erkannt und dokumentiert werden. Das Ausschuss-Teil kann direkt ausgeleitet und Folgekosten vermieden werden.
  • Prüfung von Maßen, Parallelität und Ebenheit: Durch Abtasten an mehreren verschiedenen Messpunkten kann die Bauteilgeometrie sowie Oberflächenbeschaffenheit geprüft werden. Unregelmäßigkeiten können so schneller erkannt und behoben werden.
  • Prüfung von Positionen: Kritische Stellen wie z.B. Montagepunkte können auf ihre Position geprüft werden. So wird sichergestellt, dass sich das Bauteil später auch richtig montieren lässt.

Weitere Informationen zu gängigen Messverfahren finden Sie in unserem Artikel über Messtechnik – Qualitätskontrolle durch Messverfahren.

Welche Arten von Lehren gibt es?

Es gibt eine Vielzahl von Lehren, mit denen sich unterschiedliche Eigenschaften prüfen lassen. Mit Formlehren wird überprüft, ob bestimmte vorgegebene Parameter dem Soll-Zustand entsprechen. Überprüft werden geometrische Konturen und Profile wie Winkel, Radien u.a. Die Lehre bildet dabei die Soll-Geometrie ab, an welche das Prüfstück zum Vergleich gehalten wird. Maßlehren überprüfen, ob die Abmessungen eines Werkstücks innerhalb der festgelegten Grenzen liegen. Geprüft werden z.B. Längen, Breiten oder Durchmesser. Über eine definierte Prüfgrenze sind einfache Ja-/Nein-Aussagen über die Maßhaltigkeit möglich. Klassische Beispiele sind Stiftlehren oder Bügellehren.

Abbildung einer Fühlerlehre
Beispiel einer Fühlerlehre

Dazu wird das Höchstmaß und das Mindestmaß zurate gezogen. Eine Seite der Grenzlehre bildet das Optimum ab, die andere die Ausschuss-Seite. Das Prüfstück wird anschließend damit verglichen und bewertet.

Grenzlehren überprüfen, ob ein Werkstück innerhalb vorgegebener Grenzmaße liegt. Dazu wird das Höchstmaß (Ausschusslehre) und das Mindestmaß (Gutlehre) herangezogen. Eine typische Lehre für Außendurchmesser ist die Grenzrachenlehre: Die Gutlehre muss sich über das Prüfstück schieben lassen, die Ausschusslehre darf nicht passen. Für Innenmaße wie Bohrungen kommt z. B. ein Lehrdorn zum Einsatz. Auch hier zeigt das Bestehen beider Seiten an, ob das Prüfstück die Toleranzanforderungen erfüllt.

Funktionslehren prüfen, ob das Bauteil seine vorgesehene Funktion im späteren Montagezustand erfüllen kann. Merkmale wie Position, Form und Maße werden gleichzeitig kontrolliert. Die Lehre simuliert die Einbausituation und stellt sicher, dass das Bauteil ohne Nacharbeit verbaut werden kann. Messlehren vergleichen Soll- und Istwerte unter Zuhilfenahme von Messtastern, Messuhren u.a. Prüfmitteln.

Beispielabbildung einer Grenzrachenlehre
Beispiel einer Grenzrachenlehre

Aufbau von Lehren

Ein zentraler Bestandteil jeder Prüflehre ist die Messaufnahme bzw. Prüfvorrichtung, die dafür sorgt, dass ein Bauteil vor der taktilen oder optischen Messung präzise fixiert wird. Messaufnahmen / Prüfvorrichtungen werden individuell auf das jeweilige Prüfobjekt abgestimmt und ermöglichen durch die definierte Ausrichtung wiederholgenaue Serienmessungen. Grundlage dafür ist das sogenannte Referenzpunktsystem (RPS), das anhand von sechs Freiheitsgraden (Translationen und Rotationen) festlegt, wie das Bauteil im Raum positioniert werden muss. Weitere praxisnahe Tipps zur Bauteilausrichtung bietet der Beitrag Lagebestimmung von Werkstücken in Positioniervorrichtungen.

Weiteres Beispiel für eine Prüfvorrichtung
Weiteres Beispiel für eine Prüfvorrichtung

Eine Prüfvorrichtung wird meist für die Prüfung genau eines Bauteils erstellt. Die Positionierung erfolgt in der Regel durch den Einsatz von Positionierstiften und Anschlägen auf einer Grundkonstruktion.

In der Serienprüfung werden Prüfvorrichtungen oft durch Näherungssensoren, mechanische Taster oder automatische Spannsysteme ergänzt um den Prüf- und Messprozess zu automatisieren und zu überwachen. Moderne Lehren setzen dabei zunehmend auf modulare Mess- und Spanntechnik, mit der sich unterschiedliche Bauteilvarianten schnell und effizient prüfen lassen.

Verwendete Materialien

Auch für die Materialauswahl gilt: Je nach Anwendung, Branche und geforderter Präzision wird auch die Materialauswahl angepasst.

Stark beanspruchte und hochgenaue Prüflehren werden meist aus gehärteten Stählen gefertigt. Als Material für den Grundkörper und Unterbau der Vorrichtung kann unter anderem Aluminium eine gute Wahl sein. Hier gilt es einen Mittelweg zwischen Kosten, Präzision, Langlebigkeit und Effizienz zu finden. Im Idealfall kann das Prüfmittel durch einen modularen Aufbau so gebaut werden, das es nach Abschluss der Serienfertigung zumindest teilweise wiederverwendet werden kann.

Um die Prüfvorrichtung erstmalig zu evaluieren wird der Prototyp des zu prüfenden Bauteils benötigt. Anhand dieses Prototyps wird die Prüfvorrichtung auf Maßgenauigkeit, Funktion sowie Formtreue überprüft. Auch wird untersucht ob die Prüfvorrichtung die Kontrolle aller wichtige funktionalen Merkmale des Prüflings abdeckt oder weitere Prüfschritte notwendig sind. Der Prototyp kann aus den unterschiedlichsten formstabilen Materialien bestehen. Hier bieten sich neben den traditionellen subtraktiven Fertigungsverfahren auch adaptive Fertigungsverfahren wie der 3D-Druck an. Häufig lassen sich mit 3D-Druck-Technologien komplexe Geometrien schnell und hinreichend genau realisieren, um diese als Prüfmuster einsetzen zu können und so die Kosten möglichst gering zu halten.

Verwendete Komponenten

Wie bereits erwähnt, kommen im Prüflehrenbau verschiedene Komponenten zum Einsatz: Positionierstifte, Passscheiben, Montageplatten. Sehen Sie dazu unsere Übersicht über Bauteile für Spann- und Messvorrichtungen. Nachfolgend finden Sie eine Auswahl an Komponenten, die Sie bei der Erstellung einer Prüflehre unterstützen können:

Aufnahmebolzen
Aufnahmebolzen

Positionierstifte, wie z.B. Aufnahmebolzen, unterstützen die präzise Ausrichtung von Werkstücken und Bauteilen in Werkstückträgern. Durch unterschiedliche Kopfformen ist eine optimale Bauteilführung möglich. Die Kombination einer Rauten- oder Ovalform (positioniert in eine Richtung) mit einem Positionierstift - runde Form (positioniert in x und y Richtung) ergibt eine korrekte Positionierung mit definiertem Längenausgleich.

Passscheibe
Passscheibe

Passscheiben gleichen feine Höhenunterschiede aus. Sie können für kontrollierte Positionskorrekturen in der Lehre verwendet werden. Mit Passscheiben können Abstände präzise und reproduzierbar eingestellt werden.

Winkelkonsolen
Winkelkonsolen

Winkelkonsolen dienen als konstruktive Verbindungselemente zur rechtwinkligen Anordnung von Komponenten in Vorrichtungen. Sie stellen definierte und stabile Bezugspunkte zwischen horizontalen und vertikalen Ebenen dar und zählen zur strukturellen Peripherie eines Prüfsystems. Mitunter werden Winkelkonsolen auch für die Aufnahme von Schnellspannern, Klemmzylindern oder Greifern in der Spanntechnik eingesetzt. Dank umfangreicher Konfigurationsmöglichkeiten sind sie vielseitig anpassbar und einsetzbar.

Näherungssensoren
Näherungssensoren

Näherungssensoren erfassen die Position und Bewegung eines Prüflings. Sie eignen sich hervorragend für den Lehrenbau. In Kombination mit einer SPS o.a. ermöglichen sie eine automatisierte Gut-/Schlecht-Auswertung.  Weitere Informationen zu Sensoren finden Sie im Artikel Sensorik – Auswahl und Bedeutung für die Automatisierungstechnik.

Was versteht man unter NAAMS?

Der Begriff NAAMS steht für North American Automotive Metric Standard. NAAMS ist eine auf metrische Maße basierende Standardisierung von Stanzwerkzeugen und Montagewerkzeugen, welche von einer Vielzahl Automobilhersteller und deren Zulieferern genutzt wird.

Ursprung der NAAMS-Norm war die Suche nach Möglichkeiten zur Kostensenkungen bei der Fertigung von Stanzwerkzeugen für die Automobilindustrie. Im Vordergrund stand dabei vor allem die Standardisierung von Komponenten und der Fokus auf gleichbleibende Qualität und Kompatibilität. Viele Hersteller weltweit halten sich an den NAAMS-Standard zur Herstellung von Teilen mit einheitlicher technischer Spezifikation. Der NAAMS-Standard umfasst zwei Spezifikationsbereiche: einmal für Bauteile (z.B. Positionierstifte, Winkelkonsolen) und einmal für Baugruppen. In der Bauteilspezifikation werden konkrete Größenangaben, Formen und andere Eigenschaften festgelegt, während die Baugruppenspezifikation Informationen zum Zusammenbau mehrerer Bauteile liefert. Mit NAAMS Komponenten können auch Prüflehren strukturiert und modular aufgebaut werden, was eine qualitativ hochwertige und kosteneffiziente Fertigung sicherstellt.