Ein Mann aus der Maschinenfertigung steht mit einem Tablet vor einem großen Maschinenteil und nutzt die Möglichkeiten von Augmented Reality.

„Ich zitiere da immer gerne aus der Sesamstraße“

Der MISUMI-Expertentalk zu künstlicher Intelligenz im Maschinenbau: Folge 1

 

Ist die Branche hinsichtlich KI am Zahn der Zeit? Welche Rolle spielt die Digitalisierung? Und wie steht es dabei um die „Komponente Mensch“? In unserem Expertentalk beleuchtet Jens Neumann (Manager Production Planning, Supplier Management & Digitalization bei MISUMI) mit Markus Jung und Norbert Lukic vom X-Reality- und Digitalisierungs-Spezialisten XRGO den Status Quo. Im Fokus liegt dabei ein Pilotprojekt, welches die Relevanz von Machine Learning in Kombination mit innovativen Technologien wie Augmented Reality verdeutlicht – und was passieren kann, wenn man diesen Zug verpasst.

 

 

 

Neumann: Bevor wir über euer Pilotprojekt sprechen, gebt bitte einmal eine allgemeine Einschätzung: Wie steht es denn aktuell um den Einsatz von X-Reality in der Maschinenbau-Branche? Werden Technologien wie Augmented Reality bereits umfassend angewendet?

 

Lukic: Ich würde ganz klar sagen: Jein. Neben den Pionieren, die X-Reality bereits voll in ihre Prozesse etabliert haben, gibt es natürlich einige Skeptiker, für die das alles nur „Spielerei“ ist. Dazwischen haben wir ein großes Feld an Unternehmen, die sich gerade an das Thema herantasten, sich von uns beraten lassen und einfach mal ausprobieren wollen. Gerade während der Pandemie ist das Interesse an AR-Brillen, wie der HoloLens von Microsoft, für den Einsatz im Customer Support oder in der Fertigung rasant gestiegen.

 

Jens Neumann

Manager Production Planning, Supplier Management & Digitalization
„Maßgeschneiderte Digitalisierungs- und Automatisierungsstrategien werden künftig noch wichtiger, um wettbewerbsfähig zu bleiben.”
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Jung: Allgemeiner Tenor nach den ersten ausführlichen Tests: X-Reality ist ein Effizienz-Booster, auf den man nicht mehr verzichten will. „Ich verstehe gar nicht, wieso wir erst jetzt darauf gekommen sind“ ist dabei der Satz, den wir von den Entscheidern bei unseren Kunden am meisten hören. Und dieser Effizienz-Boost war auch beim bereits erwähnten Pilotprojekt ein Resultat, soviel darf an dieser Stelle schon verraten werden.

 

 

Zwei Menschen visualisieren über ihr Tablet den virtuellen Prototypen eines Maschinenbauteils.

Ob Ausbildung, Fertigung oder Vertrieb: X-Reality ist in vielerlei Hinsicht ein Effizienz-Booster.

 

Neumann: Na dann spannen wir doch direkt den Bogen. Was war der Ausgangspunkt für das Projekt?

 

Jung: Einer unserer Partner aus der Maschinenproduktion stellte sich die Frage, wie er die Wartung seiner Maschinen – und damit auch die Fertigungsprozesse seiner Kunden – effizienter machen kann. Nach ersten Gesprächen war unser Ansatz klar: Wir setzen hier auf dynamische Wartungsintervalle. Also keine festgelegten Zyklen, sondern Intervalle, die sich nach der Beanspruchung der Maschinen und einzelner Bauteile richten.

 

Neumann: Klingt einleuchtend. Welche Vorteile bieten dynamische Wartungsintervalle im Detail?

 

Lukic: Das Ziel dieser dynamischen Wartungsintervalle ist es, immer das maximal mögliche Intervall auszuschöpfen. Nehmen wir zum Beispiel ein Teil in einer Fertigungsmaschine: Bisher hat man dieses Teil zum Beispiel nach 20.000 Betriebsstunden ausgetauscht – ganz nach dem Motto „sicher ist sicher“. Mit dynamischen Wartungsintervallen kann man nun genau identifizieren, dass dieses Teil aufgrund der niedrigen Intensität der Produktion erst nach 27.000 Stunden erneuert werden muss, oder eben bereits bei 16.000, sollte die Last höher sein. Dies sorgt zum einen für eine bessere Ausnutzung des Bauteils, gleichzeitig werden aber auch ungeplante Ausfallzeiten vermieden.

 

Jung: Mit dieser besseren Ausnutzung der Lebensdauer reduziert man über die Laufzeit einer Maschine natürlich auch die Verschwendung von Ersatzteilen – einfach dadurch, weil sie nicht mehr zu früh ausgetauscht werden. Das senkt die Kosten und ist im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens. Ein weiterer Vorteil liegt in der Minimierung der Lagerhaltung. Mit der Kopplung an einen gut sortierten Teilekatalog, wie zum Beispiel von MISUMI, können die benötigten Teile automatisiert zum richtigen Zeitpunkt bestellt und in time geliefert werden.

 

Neumann: Gab es weitere Vorteile, die während des Projekts erkannt wurden?

 

Lukic: Absolut, und das war natürlich ein großer Grund zur Freude bei unserem Partner: Neben der Vermeidung von ungeplanten Ausfallzeiten und der besseren Vorhersage von Wartungen waren auch eine Reduktion von ungeplanten Technikereinsätzen und weniger Lieferkettenprobleme zu erkennen. Die „Dynamisierung“ von Wartungsintervallen hatte positiven Einfluss auf die Planbarkeit und Durchführung der Aktivitäten.

 

Neumann: Nun haben wir viel über die technologische Seite erfahren. Was ist aber mit der Komponente Mensch?

 

Jung: Guter Punkt. Der Mensch spielt bei der Wartung sowie im ganzen Fertigungsbereich weiterhin eine bedeutende Rolle. Dies bestätigt sich vor allem dann, wenn es akut an Fachkräften mangelt oder langjährige Mitarbeitende in den verdienten Ruhestand gehen – Wissen und Erfahrung sind einfach durch nichts zu ersetzen. In unserem Beispiel setzen wir auf die „Konservierung“ von Expertise und Wissen, um dies dann gezielt für eine optimierte Befähigung der Mitarbeitenden einzusetzen. Hierbei spielt X-Reality, oder ganz konkret Augmented Reality, eine zentrale Rolle.

 

 

Ein Techniker benutzt eine VR-Brille, die ihm eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zeigt.

Man ist sich einig: Der Mensch wird trotz aller technischer Innovation weiterhin eine bedeutende Rolle spielen.

 

Neumann: Perfekte Überleitung: Welche Technologien werden eingesetzt?

 

Lukic: Bei der menschlichen Komponente, also den Mitarbeitenden, setzen wir auf interaktive Lernmethoden unter Nutzung von Augmented Reality, also Schritt-für-Schritt Anleitungen sowie geführte oder gar assistierte Vorgehensweisen. Dadurch wird nicht nur ein erheblicher Beitrag zur Effizienz von Mitarbeitenden geleistet, sondern auch zur Arbeitssicherheit.
Für die „Predictive Maintenance“, also die vorausschauende Instandhaltung, nutzen wir Technologien aus den Bereichen Künstliche Intelligenz und Machine Learning. Hier setzen wir zum Teil auf Standardsoftware, aber auch eigens entwickelte Lösungen – je nach Use Case.

 

Neumann: An dieser Stelle kommt oft die These: Machine Learning ist nur so gut wie die Daten, mit denen es gefüttert wird. Berechtigt?

 

Jung: Ja, sehr sogar. Ohne Daten können neuronale Netzwerke keine Informationen bilden, um daraus Muster zu erkennen und basierend darauf Vorhersagen zu treffen. So ist es nicht nur beim Machine Learning, sondern auch in unserem Gehirn.
Das Erheben und Auswerten von Maschinen- oder Produktions-Daten wird auf die Zukunft von Unternehmen einen erheblichen Einfluss haben. Ich zitiere da immer gerne aus der Sesamstraße: Wer nicht fragt, bleibt dumm – und wenn du weiter übst, kannst du alles tun.

 

Lukic: (lacht) Das ist ein guter Vergleich! Und da Maschinen meist auch nur das können, was wir ihnen beibringen, liegt es an uns, sie zu „trainieren“ und zu füttern. Dies geht aber nicht ohne Erfahrungswerte, und die bekommen wir aus den gesammelten Daten.

 

Neumann: Lässt sich also zusammenfassen, dass Digitalisierung der Schlüssel ist?

 

Lukic: Das trifft den Nagel auf den Kopf. Der Einsatz von digitalen Technologien ist lange Alltag, doch die wenigsten Unternehmen machen dies zum Bestandteil ihrer Strategie.

 

Jung: Die Begriffe Digitalisierung und digitale Transformation gibt es schon seit Jahren, mittlerweile werden sie in manchen Bereichen als Buzzwords abgetan – dabei bezeichnen sie einen wichtigen und immer fortlaufenden Veränderungsprozess von Unternehmen, und zwar technologisch wie wirtschaftlich. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten: Wer heute noch kein Konzept für die Digitalisierung in seinem Unternehmen hat, dem fehlt morgen möglicherweise das entscheidende Puzzleteil, um wettbewerbsfähig zu sein.

 

 

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