Linearwellen: Auswahl des richtigen Materials, der Härtung und der Oberflächenbehandlung

Linearwellen übernehmen anspruchsvolle Aufgaben in industriellen Anwendungen: Sie ermöglichen präzise und wiederholbare lineare Bewegungen unter hohen mechanischen Belastungen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist die richtige Materialwahl, Härtung und Oberflächenbehandlung entscheidend. Alle diese Faktoren haben direkten Einfluss auf die Lebensdauer, Präzision und Leistung einer Linearwelle. In diesem Artikel werden diese drei Bereiche vorgestellt und ihre Abhängigkeiten verdeutlicht, damit Sie die optimale Linearwelle für Ihre Anwendung auswählen können.

Linearwellen im Detail

Linearwellen übernehmen in Kombination mit Linearlagern (z.B. Gleitlagerbuchsen und Linearkugellagern) die lineare Führung von axialen Bewegungen. Sie bestehen in der Regel aus Präzisionsstahl, aber auch andere Materialien sind denkbar. Es gibt diverse Möglichkeiten, Linearwellen in ein System zu integrieren. Wellenhalter sind nur eine der vielen, von der Wellenform abhängigen Möglichkeiten. Weitere Informationen finden Sie in unserem Artikel Linearwellen: Wellenenden und Optionen zur Befestigung von Linearwellen.

Eine Sonderform der Linearwellen ist die Hohlwelle (Rohrform). Hohlwellen sind in ihrem Inneren über die gesamte Länge hohl, wodurch weniger Material verwendet, und so das Gewicht der Linearwelle reduziert wird. Linearwellen dienen als Führungswelle für Linearlager. Richtig eingesetzt ermöglichen sie die hochpräzise Führung linearer Bewegungen für Anwendungen mit hohen Anforderungen an Laufruhe und Präzision. Um diesem Anspruch gerecht zu werden und eine zuverlässige Führung des Linearlagers über die gesamte Lebensdauer zu gewährleisten, ist das Zusammenspiel aus Materialauswahl, Härtung und ggf. zusätzlicher Oberflächenbehandlung entscheidend.

Materialauswahl nach geplanter Anwendung

Die Materialauswahl für Linearwellen richtet sich nach den spezifischen Anforderungen der geplanten Anwendung. Für einfache Anwendungen, wie die Nutzung mit wartungsfreien Gleitlagern, kann in vielen Fällen auf ungehärteten Stahl, z.B. EN 1.1191 Äquiv., zurückgegriffen werden. Eine zusätzliche Hartverchromung verbessert die Oberfläche und den Oberflächenwiederstand. LTBC-Beschichtungen können die Korrosionsbeständigkeit verbessern. Grundsätzlich sollte die Welle deutlich härter als das Gleitlager sein.

Bei Linearkugellagern oder höherem Präzisionsanspruch sollte auf härtere oder induktionsgehärtete Stähle zurückgegriffen werden. Dabei sollten Linearwelle und Linearkugellager die gleiche Härte haben. An dieser Stelle kann auch auf den Präzisionsstahl CF53, bzw. EN 1.1213, zurückgegriffen werden. Dieser Stahl ist unlegiert und eignet sich für Induktions- und Flammhärten. Dank seines mittleren Kohlenstoffgehalts lässt er sich präzise bearbeiten, was u.a. bei der Einhaltung von hohen Genauigkeitsanforderungen von Vorteil ist.

Bei der Materialauswahl sollte ein Material gewählt werden, welche folgende Haupteigenschaften nach der vom Anwendungsfall geforderten Gewichtung kombiniert:

  • Hohe Werkstofffestigkeit, die ein geringeres Gewicht ermöglicht
  • Härtbarkeit bzw. Härte
  • Hohe Duktilität - geringe Kerbempfindlichkeit

Um dabei optimale Leistung, Lebensdauer und Effizienz zu vereinen, sollten einige Vorüberlegungen angestellt werden:

  • Wie sind die Umweltbedingungen? Wird rostfreier Stahl benötigt?
  • Welche Belastungsarten treten auf (wichtig für die Materialhärte)?
  • Welche Oberflächenhärte wird benötigt? Handelt es sich z.B. um ein Linearkugellager oder eine Gleitlagerbuchse inkl. transportierter Last?
  • Ist die geforderte Präzision verfügbar?
  • Wie hoch sind die Kosten?
  • Welche Montageart wird verwendet? Das ist gegebenenfalls relevant bei Kerbempfindlichkeit.

Stehen Härte und Verschleißfestigkeit im Vordergrund, sollte auf gehärtete Stähle wie Stahl mit der Werkstoffnummer 1.3505 oder Stahl mit nitrierten Oberflächen zurückgegriffen werden. Diese Stähle halten auch intensiver Nutzung und mechanischer Beanspruchung stand.

Die Form der Wellenenden ist zwar kein Auswahlkriterium für die Materialauswahl der Linearwelle, beeinflusst aber die Oberflächenhärte der gehärteten Bereiche. Vorüberlegungen zu vorhandenen Montagemöglichkeiten und daraus resultierender Wellenenden machen dennoch Sinn, insbesondere wenn spezielle Funktionen wie Linearwellen mit Gewindezapfen erforderlich sind.

Gehärtete vs. nicht-gehärtete Linearwellen

Bei hohen Ansprüchen auf Präzision oder höheren Lageranforderungen sollten gehärtete Stahlwellen verwendet werden. Derartige Linearwellen, auch Präzisionswellen genannt, sind meist wärmebehandelte, (induktions-) gehärtete Stahlwellen mit zähem Kern. Alternativ lässt sich für einige Anwendungen auch eine besondere Beschichtung auftragen (z.B. Hartchrom), welche die Oberflächengüte und Härte erhöht.

Gehärtete Linearwellen sind weniger anfällig gegenüber Abrieb und Oberflächenverformungen. Das kommt ihnen vor allem bei hoher Beanspruchung zugute. Laufspuren von Linearkugellagern sind geringer, da die harte Wellenoberfläche den Belastungen durch die Kugeln im Linearkugellager besser standhält. Zu beachten ist aber, dass die Härte nicht zu hoch ist, da die Welle sonst auch spröde werden und brechen kann.

Im Gegensatz dazu sind nicht-gehärtete Wellen weicher und weniger kerbempfindlich, aber anfälliger für Verschleiß und Verformungen. Ungehärtete Linearwellen sind meist kostengünstiger als gehärtete Wellen.

Einfluss der Wellenhärte auf die Nennnutzungsdauer

Die Nennnutzungsdauer eines gesamten Linearsystems wird neben anderen Einflussgrößen auch durch die Wellenhärte fH beeinflusst. Eine Welle muss so hart sein, dass sie den Kugellagern standhalten kann. Andernfalls reduziert sich die zulässige Last. Weitere Einflussgrößen sind der Temperaturkoeffizient fT, der Kontaktkoeffizient fC und der Lastkoeffizient fW.

Temperaturen über 100 °C führen zu einer verringerten Härte und so zu einer Reduzierung der zulässigen Last. Der Kontaktkoeffizient trägt dem Umstand Rechnung, dass die zulässige Last sich durch die Anzahl der Linearlager pro Achse (Linearwelle) verändert. Üblicherweise werden bei Linearwellenführungen zwei parallel verlaufende Linearwellen verbaut.

Darstellung eines Diagramms zum Härtekoeffizienten für Linearsysteme
Ermittlung des Härtekoeffizienten für Linearsysteme
Darstellung eines Diagramms zum Temperaturkoeffizienten für Linearsysteme
Ermittlung des Temperaturkoeffizienten für Linearsysteme

Folgende Kontaktkoeffizienten fC gibt es je in Abhängigkeit der Lageranzahl:

  • Ein Lager pro Welle: 1.0
  • Zwei Lager pro Welle: 0.81
  • Drei Lager pro Welle: 0.72
  • Vier Lager pro Welle: 0.66
  • Fünf Lager pro Welle: 0.61

Der Lastkoeffizient fW erfordert Angaben zu Werkstoffgewicht, Lastmoment u.a. Parameter, die in der Regel schwierig zu berechnen sind. Als Faustformel gelten folgende Werte beim Einsatz ohne nennenswerte Schwingungen und Stoßbelastungen:

  • Geringe Geschwindigkeit (maximal 15 m / min): 1.0 ... 1.5
  • Mittlere Geschwindigkeit (maximal 60 m / min): 1.5 ... 2.0
  • Hohe Geschwindigkeit (über 60 m / min): 2.0 ... 3.5

Zusammen mit der dynamischen Tragzahl C und der Nutzlast P lässt sich die Nennnutzungsdauer L eines Linearkugellagers wie folgt berechnen:

L =\left ( \frac{f_{H} \times f_{T} \times f_{C}}{f_{W}}\times \frac{C}{P} \right )^{3} \times 50

Härte verschiedener Stähle

Je nach Zusammensetzung und Wärmebehandlung können Stähle von weichen, verformbaren Qualitäten bis hin zu extrem harten, verschleißfesten Varianten reichen. Die Werkstoffnummer gibt Aufschluss über die Härte von Stahl:

  • EN 1.3505 (100Cr6): Klassischer Wälzlagerstahl mit hoher Härte, für hohe Verschleißbeanspruchung geeignet
  • EN 1.4125 (X105CrMo17): Ein martensitischer Chrom-Stahl mit sehr hoher Verschleißfestigkeit, Einsatz unter anderem als Messerstahl
  • EN 1.1191 (C45): ist ein unlegierter Qualitätsstahl bzw. C-Stahl.  Er ist nur mäßig härtbar, lässt sich aber gut bearbeiten. Wird für Wellen mit mittleren bis hohen mechanischen Anforderungen eingesetzt.
  • EN 1.4301 (X5CrNi18-10, AISI 304): Ein Chrom-Nickel-Stahl. Wird häufig verwendet und lässt sich gut verarbeiten. Er hat eine hohe Korrosionsbeständigkeit. Die Härte liegt unter 215 HB und eine Härtung durch Wärmebehandlung ist nicht möglich.
  • EN 1.4037 (X65Cr13): Ein martensitischer Edelstahl. Nach Härtung weist er eine hohe Härte auf, ist aber relativ spröde. Er eignet sich in korrosiven Umgebungen.
  • EN 1.1213 (Cf53): Ein unlegierter Qualitätsstahl mit hohem Kohlenstoffanteil. Sehr gut härtbar, hohe Festigkeit und Zähigkeit, jedoch weniger korrosionsbeständig.

Die dazugehörigen ISO-Toleranzen sehen Sie in der folgenden Tabelle „Härte und mögliche Oberflächenbehandlung nach Wellenmaterial":

Härte und mögliche Oberflächenbehandlung nach Wellenmaterial
Werkstoff ISO -Toleranz Härte Oberfächenbehandlung
EN 1.3505 Äquiv. g6, h5 Induktionsgehärtet

ca. 56 bis 58HRC
ohne
EN 1.4125 Äquiv.
EN 1.4037 Äquiv.
EN 1.3505 Äquiv. Hartverchromt
Schichthärte HV750 ~
Schichtdicke: min. 5 μ m
EN 1.4125 Äquiv.
EN 1.3505 Äquiv. g6 LTBC-Beschichtung
Beschichtungsdicke: 1 ~ 2 μm
EN 1.4125 Äquiv.
EN 1.1191 Äquiv. f8 nicht gehärtet Hartverchromt
Schichthärte HV750 ~
Schichtdicke min. 10 μm
EN 1.4301 Äquiv.
EN 1.1213 h6 Induktionsgehärtet

58HRC oder mehr
ohne
EN 1.1213 h7 Hartverchromt
Beschichtungshärte: HV750~ Schichtdicke min. 5 μm

Behandlung von Linearwellen und ihre Auswirkungen

Linearwellen werden zuerst induktiv, thermisch gehärtet. Diese Härtung erfolgt am Rohmaterial an der Randschicht vor allen weiteren Bearbeitungsprozessen. Die dabei entstehende Einhärtetiefe ist abhängig von Material und Linearwellendurchmesser. Anschließend erfolgt die Bearbeitung durch Schleifen, Bohren usw. In diesen Bereichen wird die gehärtete Randschicht mit abgetragen. Auch wird das umgebende Material durch die Bearbeitung häufig sehr heiß, was zu einer Änderung der Härte in diesen Bereichen führt.

Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Einhärtetiefe von Linearwellen bei verschiedenen Stählen:

Effektiv gehärtete Schichtdicke der gehärteten Wellen
Außendurchmesser
D
Effektive Einhärtetiefe
EN 1.1191
C45E
Äquiv.
EN 1.1213
Cf53
EN 1.3505 100Cr6
Äquiv.
EN 1.4037
X65Cr13
Äquiv.
EN 1.4125
X105CrMoV17
Äquiv.
EN 1.4301
X5CrNi18-10
Äquiv.
3 nicht gehärtet Größe nicht verfügbar > 0.5 > 0.5 > 0.5 nicht gehärtet
4
5
6 bis 10 > 0.5
12 > 0.7 > 0.7 > 0.5 > 0.5
13
15 bis 20 > 0.7 > 0.7
25 bis30 > 1.0 > 1.0
35 bis 50 Größe nicht verfügbar

Härte-Einschränkungen bei der Oberflächenbehandlung

Vor der Bearbeitung wird der Stahl häufig erhitzt, um ihn bearbeitbarer zu machen. Auch durch maschinelle Bearbeitung kann Stahl im Randbereich so weit erhitzt werden, dass die Härte der ursprünglich gleichmäßig gehärteten Randschicht in diesem Bereich reduziert wird. Diese Zone nennt sich auch Wärmeauslaufzone und weist eine geringere Härte als das restliche Material auf. Um das Entstehungsrisiko dieser Zone zu minimieren, sollte der Erwärmungsprozess kontrolliert erfolgen. Die gehärtete Randschicht der Ursprungswelle wird bei Schlüsselflächen, Zapfen usw. abgetragen. Die bearbeiteten bzw. freigelegten Oberflächen weisen daher eine abweichende Härte auf.

Beispiel für Bereiche mit geringerer Härte
Beispiel für Bereiche mit geringerer Härte

Das Glühen kann z.B. bei folgenden Konfigurationsmöglichkeiten und Wellenausführungen eine verminderte Härte zur Folge haben:

  • Wellen mit Gewinde
  • Abgesetzte Wellen
  • Sicherungsringnuten, Kegel- und Sechskantbohrungen, Schlüsselflächen, Vorbohrungen mit Innengewinde, Nuten für Befestigungsschrauben
  • Keilnut, V-Nuten
  • Planflächen
  • Ausführung mit konfigurierbaren Wellenenden (G-, H-Form)
  • Hohlwellen (seitliche Bohrung auf einer Seite)

Weitere Formen der Oberflächenbehandlungen

Neben dem Härten der Linearwelle selbst, können auch Beschichtungen zur Verbesserung der Härte aufgetragen werden. Diese dienen zusätzlich dem Korrosionsschutz. Es gibt verschiedene Arten der Beschichtung:

  • Hartverchromt: Hartverchromung sorgt für eine hohe Oberflächenhärte und Verschleißfestigkeit. Chrom kann jedoch abplatzen.
  • LTBC-beschichtet: Die Beschichtung ist eine 5µm starke, als schwarzer Film abgesetzte Schicht aus Fluorpolymer. Sie ist reflexionsarm und resistent gegenüber Berstdruck durch Biegen der Linearwelle. LTBC-Beschichtungen haben ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Härte und Elastizität.
  • Chemisch vernickelt: Gleichmäßige, porenfreie Schicht mit hohem Korrosionsschutz. Diese Beschichtung schafft eine glatte Oberfläche mit geringer Reibung, erhöht die Oberflächenhärte jedoch nur mäßig, weshalb sie hauptsächlich für Korrosionsschutz und gleitende Eigenschaften eingesetzt wird.
  • Nitriert: Nitrieren erhöht die Oberflächenhärte erheblich. Bei diesem Prozess wird Stickstoff in die Stahloberfläche diffundiert. Ähnlich der LTBC-Beschichtung kann auch die Nitrierschicht nicht mehr abplatzen.

Auswahlmöglichkeiten für Linearwellen von MISUMI

Bei MISUMI gibt es eine Vielzahl an Konfigurationsmöglichkeiten für Linearwellen:

  • Wellenmaterial: Stahl, rostfreier Stahl
  • Beschichtung / Plattierung: unbeschichtet, hartverchromt, LTBC-beschichtet, chemisch vernickelt
  • Wärmebehandlung: unbehandelt, induktiv gehärtet
  • ISO-Toleranzen: h5, k5, g6, h6, h7, f8
  • Präzisionsklassen: Rechtwinkligkeit 0.03, Konzentrizität (mit Gewinde und Stufen) Ø0.02, Rechtwinkligkeit 0.20, Konzentrizität (Gewinde und Abstufung) Ø0.10
  • Geradheit / Rundheit: anhängig vom Durchmesser. Nähere Informationen dazu finden Sie auch in den Wellenpräzisionsstandards.

Lesen Sie auch unseren Artikel Linearwellen: Präzisionsstandards von MISUMI Linearwellen

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