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Antistatische Materialien - ESD - Defintion und Vorteile
Elektrostatische Entladungen können ein Problem in der Fertigungsumgebung darstellen: Die Gefahren reichen von Schäden an empfindlichen Bauteilen bis hin zu Brand- und Explosionsgefahr. Um das Auftreten zu minimieren, gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Antistatische bzw. ESD-Materialien (ESD = electrostatic discharge) sind eine davon. Im nachfolgenden Artikel werden Ursachen für elektrostatische Ladung behandelt, antistatische Materialien (ESD-Materialien) vorgestellt sowie allgemeine Prinzipien zur Vermeidung elektrostatischer Entladung beschrieben.
Wie entsteht elektrostatische Ladung?
Elektrische Ladung ist eine physikalische Erhaltungsgröße. Um sie zu verstehen, muss man Materie auf atomarer Ebene betrachten. Jedes einzelne Atom besteht aus einer Atomhülle und einem Atomkern. Während die Hauptmasse des Atomkerns aus positiv geladenen Teilchen (Protonen) und neutralen Elementarteilchen (Neutronen) besteht, befinden sich in der Atomhülle negativ geladene Teilchen (Elektronen). Gleichartige Ladungen stoßen sich ab, und unterschiedliche Ladungen ziehen sich an. Sind Protonen und Elektronen in gleicher Menge vorhanden, heben sich die Außenwirkungen der im Atom befindlichen, aber getrennten Einzelladungen in der Ladungssumme gegenseitig auf. Das Atom ist elektrisch neutral. Sind aber z.B. mehr Protonen als Elektronen vorhanden, spricht man von positiver Ladung.
Die elektrostatische Ladung ist eng mit der elektrischen Ladung verbunden. Reiben zwei Materialien aneinander, werden Elektronen von einem Material auf das andere übertragen. Während geerdet, leitende Materialien den Elektronenübergang gleichzeitig wieder durch die freien Elektronen ausgleichen, ist dies bei isolierenden oder isolierten Materialien nicht so einfach möglich. Hier verliert das Material, welches die Elektronen weniger gut in der Atomhülle halten kann, diese Elektronen an den Reibungspartner. Der Elektronen abgebende Reibungspartner wird in der Ladungssumme durch Elektronenmangel positiv und der Partner, auf den die Elektronen übergehen in der Ladungssumme durch Elektronenüberschuss negativ. Zwischen beiden Reibungspartnern entsteht eine Ladungsdifferenz. Elektrostatische Entladung entsteht, wenn zwei Objekte mit unterschiedlicher elektrischer Ladung miteinander in Kontakt kommen. Beim Kontakt werden Elektronen ausgetauscht und es kann zu Spannungsdurchschlägen kommen. Die statisch aufgeladenen Komponenten entladen sich.
Bei der Entladung einer aufgebauten elektrostatischen Ladung können hohe elektrische Ströme fließen, die sogar leicht entzündliche Stoffe in Brand stecken oder zum Explodieren bringen können.
Wie sich die elektrostatische Ladung bemerkbar macht, hängt vom Voltbereich ab:
- > 3.000 V: Elektrostatische Entladung ist spürbar, z.B. beim Berühren einer Metallklinge.
- > 5.000 V: Elektrostatische Entladung ist hörbar z.B. Knistern beim Ausziehen von Kleidung.
- > 10.000 V: Elektrostatische Entladung ist sichtbar, z.B. in Form eines Funkens oder Blitzes.
Blitze und Funken entstehen z.B., wenn eine hohe Feldstärke zwischen unterschiedlich geladenen Objekten entsteht. Ist die Spannung groß genug, erfolgt ein schlagartiger Ladungsausgleich und es fließt kurzzeitig ein elektrischer Strom (Blitz).
Der große Unterschied zwischen isolierenden und leitenden Stoffen entsteht durch die Stabilität bzw. Festigkeit der in der Atomhülle eingebundenen Elektronen. Während bei einem Isolator alle Elektronen an ihr Atom gebunden sind, können sich die Elektronen in Metallen auch im stromlosen Zustand frei bewegen und von einer Atomhülle in die Atomhülle eines anderen Atoms springen.
Schutz vor elektrostatischer Ladung
Der Schutz vor elektrostatischer Ladung ist ein wichtiger Aspekt der Arbeitssicherheit, wie auch in unserem Artikel über Sicherheitsstandards im Maschinenbau erläutert. Doch warum genau ist der Schutz so wichtig? Jeder hat sicher schon mal einen elektrischen Schlag bei Berührung metallischer Gegenstände bekommen. Je höher aber die elektrische Ladung ist, desto gefährlicher sind auch diese Entladungen.
Im industriellen Umfeld können leicht Spannungen von bis zu 10.000 V auftreten, die vor allem bei elektronischen Bauteilen zu Beschädigung bis hin zur Zerstörung führen können. Standard-Kunststoffe haben das Risiko, sich elektrostatisch aufzuladen, da sie über einen hohen Oberflächenwiderstand verfügen. Werden darin elektronische Bauteile transportiert, kann es schnell zu Problemen kommen. Durch die fortschreitende Miniaturisierung vor allem im Elektro- und Halbleiterbereich nimmt die Anfälligkeit für elektrostatische Entladung immer mehr zu. Statische Aufladung bei Kunststoffen abzuleiten, ist daher besonders wichtig. Bauteile, die besonders gefährdet durch elektrostatische Entladung sind, erhalten eine Markierung mit dem ESDS-Symbol für "Electrostatic Sensitive Device":
In der Folienherstellung, Halbleiterproduktion oder Papierherstellung besteht zusätzlich eine Brandgefahr und Explosionsgefahr. Ein Schutz ist daher unabdingbar.
Definition: ESD-Materialien und antistatische Materialien
Grundlegend unterscheiden sich antistatische und ESD-Materialien in ihrer Art, mit elektrostatischer Aufladung umzugehen. Bei antistatischem Material liegt der Fokus darauf, die elektrostatischen Eigenschaften des Materials dahingehen zu beeinflussen elektrostatische Aufladung zu verhindern. Bei ESD-Materialien steht die elektrische Leitfähigkeit im Vordergrund, damit elektrostatische Aufladung besonders schnell abgeleitet werden kann. Das geschieht durch Zugabe von Kohlenstoff. Das bedeutet aber nicht, dass antistatische Materialien nicht auch gleichzeitig elektrostatische Ladung ableiten können, ihre Leitfähigkeit ist nur geringer als die von ESD-Materialien.
Für beide Materialgruppen gibt es unterschiedliche Normen. Antistatische Materialien kommen in der Regel im Personenschutz zum Einsatz, wie Normen wie die EN 1149 für antistatische Kleidung oder EN ISO 20345 für antistatische Sicherheitsschuhe deutlich machen. Der elektrische Widerstand muss so gering sein, dass keine Aufladung entstehen kann und z.B. auch Funkenbildung verhindert werden kann. Für ESD-Materialien steht der Schutz von Bauteilen im Vordergrund. Die EN 61340-4-1 legt Anforderungen für die Ableitfähigkeit von Oberflächen und Materialien fest. Es gibt aber ESD-Materialien, die zum Personenschutz eingesetzt werden, z.B. ESD-Schuhe. Für ESD-Schuhe gelten hinsichtlich des zugelassenen elektrischen Widerstands strengere Vorgaben: Sie haben einen elektrischen Widerstand zwischen 0.1 Megaohm und 100 Megaohm, während der Bereich für antistatische Materialien bei 0.1 bis 1000 Megaohm liegt. ESD- und antistatische Materialien werden z.B. auch verwendet in ableitfähigen Bodenbelägen und Verpackungsmaterialien und speziellen Beschichtungen.
Je nach Durchgangswiderstand lassen sich Materialien in unterschiedliche Kategorien einteilen, was wiederum auch entscheidend in der Antistatik- und ESD-Technik ist:
- Leitfähige Materialien: Haben einen Widerstand von 100 bis 105 Ω, leiten schnell und sicher ab, Verwendung z.B. in Erdungsbändern. Siehe Bereich C in der nachfolgenden Abbildung.
- Antistatische Materialien: Haben einen Widerstand von 106 bis 109 Ω, verhindern die Ansammlung statischer Ladung. Siehe Bereich B in der nachfolgenden Abbildung.
- Isolierende Materialien: Haben einen Widerstand von > 1013 Ω, bieten hohe elektrische Isolation. Siehe Bereich A in der nachfolgenden Abbildung.
Funktionsprinzipien
Die Funktionsweise der verschiedenen Materialkategorien unterscheidet sich nach folgenden Prinzipien:
- Ableitung: ESD-Materialien leiten die entstandene Ladung gezielt durch das Material hindurch und verteilen sie, um gefährliche Spannungsdifferenzen zu vermeiden.
- Isolierung: Isolierende Materialien verhindern die Bewegung von Ladungen, was in bestimmten Bereichen sinnvoll sein kann, um empfindliche Komponenten vor unkontrollierten Entladungen zu schützen.
- Ablehnung: Durch spezielle Oberflächenstrukturen und Additive verhindern antistatische Materialien, dass sich Ladungen auf der Oberfläche ansammeln.
- Erdung: Über definierte Erdungspunkte werden leitfähige Materialien mit Erdpotential verbunden, um überschüssige Ladung gezielt abzuleiten.
Prüfmethoden
Das elektrische Isolationsverhalten eines Materials lässt sich am besten über die Ermittlung des Oberflächenwiderstands und Durchgangswiderstands bestimmen. Der Durchgangswiderstand, auch elektrischer Widerstand genannt, ist der Widerstand gegen den Stromfluss durch ein Material und wird in Ohm angegeben. Der Durchgangswiderstand gibt Aufschluss darüber, wie gut oder schlecht ein Material Ladungen in Richtung einer Erdung ableiten kann. Für die Messung werden je eine Elektrode an der Ober- und Unterseite der Oberfläche angebracht und ein Messstrom durch diese geleitet. Der Oberflächenwiderstand wiederum beschreibt den elektrischen Widerstand auf der Materialoberfläche. Bestimmt wird er durch Anlegen einer elektrischen Spannung mittels zweier paralleler Elektroden auf der Oberfläche sowie die Stromstärke, die durch beide Elektroden fließt.
Konstruktive Ansätze zum Verhindern statischer Aufladung
Statische Aufladung kann bereits durch gezielte Konstruktionsmaßnahmen an Anlagen, Bauteilen und kritischen Arbeitsbereichen effektiv minimiert oder verhindert werden. Relevante Stellschrauben sind dabei z.B.:
- Materialauswahl
- Erdung
- Luftfeuchtigkeitskontrolle
- Ionisatoren
- Vermeidung von Reibung
Materialauswahl
Generell hängt die Wahl zwischen antistatischen oder ESD-Materialien vom Einsatz ab. Soll ein elektrostatisch empfindliches Produkt transportiert, montiert oder bearbeitet werden, empfehlen sich ESD-Materialien. Soll statische Aufladung von vornherein verhindert werden, etwa um Personen vor Funkenbildung zu schützen, sind antistatische Materialien besser geeignet, da sie die Ladungsentstehung minimieren. Bei MISUMI gibt es verschiedene antistatische Materialien. Auch Spezialkunststoffe mit spezifischen Eigenschaften können sich als Materialien eigen. Erfahren Sie mehr in unserem Artikel Spezialkunststoffe in der Praxis.
Elektrostatische Erdung
Bei korrekter Erdung lässt sich überschüssige elektrische Ladung direkt gegen Erdpotential ableiten. Das kann z.B. durch spezielle elektrisch leitfähige Arbeitsmatten, Erdungsbänder oder spezielle Erdungspunkte an Maschinen erreicht werden. Alle leitfähigen Komponenten sollten über eine dauerhafte Verbindung mit der Erde verfügen.
Luftfeuchtigkeitskontrolle
Je höher die Luftfeuchtigkeit ist, desto höher ist die Leitfähigkeit der Luft und desto besser kann die überschüssige Ladung in die Wassermoleküle in der Luft abgegeben und verteilt werden. Sofern es die Art der Fertigung zulässt, kann daher mit einer höheren Luftfeuchtigkeit gearbeitet und diese überwacht werden. Empfohlen wird eine relative Luftfeuchtigkeit von 50-60 %.
Ionisatoren
Wenn Erdung allein nicht ausreicht, können Ionisatoren zur elektrostatischen Entladung eingesetzt werden. Sie erzeugen positiv und negativ geladene Ionenpaare, die sich an vorhandene statische Ladungen im Wirkbereich des Ionisators binden und diese ausgleichen. Ionisatoren werden oft verwendet, wenn Werkteile aus isolierendem Material bearbeitet werden, um ungewünschte statische Aufladung zu eliminieren
Vermeidung von Reibung
Reibung zwischen Isolatoren bzw. hochohmigen Oberflächenmaterialien ist eine der Hauptursachen für statische Aufladung. Zur Vermeidung von Reibung können Hilfsmittel eingesetzt werden, wie z.B. antistatische Schmiermittel oder Gleitadditive. Auch ein tieferes Verständnis der Reibungseigenschaften eines Materials kann dabei helfen, die ablaufenden Prozesse besser einordnen zu können. Weitere Informationen dazu finden Sie in unserem Artikel Reibung und Trockenreibungskoeffizienten.
Eine weitere Option ist eine spezielle Oberflächenbehandlung, die dafür sorgt, dass eine glattere Struktur erzeugt wird. Das kann z.B. durch polierte Oberflächen erreicht werden oder auch durch spezielle Materialien wie antistatisches Silikon oder PTFE (Teflon) mit leitfähigen Füllstoffen.